PM: „Jetzt – Schluss mit Regel- und Förderwirrwarr!“

Köln, 04.12.2023. Kein anderes Bundesland hat solch veraltetet schulrechtliche Vorgaben in Bezug auf LRS wie NRW. Der Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie e.V. fordert die Landesregierung auf den NRW-Erlass von 1991 endlich zu aktualisieren und in den schulrechtlichen Vorgaben zu verankern. Für eine bessere Förderung und Unterstützung betroffener Kinder und Familien und mehr Chancengleichheit und Handlungssicherheit für Schulen und Lehrkräfte

Lesen, Schreiben und Rechnen gehören zu den wichtigen Kulturtechniken, die in allen Fächern in der Schule und im Alltag benötigt werden. Es ist Aufgabe der Schule den Kindern, das Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Ca. 5-7 Kinder pro Klasse haben eine Lese-Rechtschreibschwäche. Ihre Förderung und Unterstützung regeln in NRW ein völlig überholter Erlass von 1991, der bei Schulleitungen und Lehrkräften kaum bekannt und oftmals eher für eine KANN- Bestimmung gehalten wird. Für die Dyskalkulie gibt es in NRW bisher keine schulrechtlichen Vorgaben.

Die Folgen: Ein Wirr-Warr von Regelungen, das sowohl Betroffene als auch Lehrkräfte hilflos zurücklässt. Eltern kämpfen häufig von Lehrkraft zu Lehrkraft und von Schuljahr zu Schuljahr neu, damit die schulrechtlichen Vorgaben umgesetzt werden. Nur in seltenen Fällen findet eine Förderung der Kinder und Jugendlichen mit speziellen Angeboten statt. Lehrkräfte sind oftmals verunsichert, wie sie die schulrechtlichen Vorgaben richtig umzusetzen haben, weil das Thema LRS kein Bestandteil ihrer Ausbildung ist. Von Schule zu Schule wird der Erlass anders ausgelegt. Mal wird ein fachärztliches Attest eingefordert, dann wieder nicht. In NRW handeln nach Erfahrungen des Vereins 80 – 85 % der Schulen gegen die schulrechtlichen Vorgaben.

Betroffene Schüler und Schülerinnen geraten ohne Förderung und Unterstützung häufig in einen Teufelskreis aus Frustration, Schulangst und Versagensängsten. Die Folgen können massiv sein: eine Lernstörung geht oft einher mit mangelndem Selbstwertgefühl bis hin zu psychischen Problemen. Betroffene Kinder erreichen oftmals nicht einem ihrem Potential entsprechenden Schulabschluss. 

Das Bundesverfassungsgericht hat im November entschieden, dass es sich bei der Legasthenie um eine Behinderung handelt, „Bei einer Legasthenie beruhen die Defizite beim Lesen und Schreiben auf einer medizinisch messbaren neurobiologischen Hirnfunktionsstörung und damit auf einem regelwidrigen körperlichen Zustand. Die Symptome dieser Funktionsstörung, nämlich eine deutliche Verlangsamung des Lesens, Schreibens und Textverständnisses und weit unterdurchschnittliche Rechtschreibfähigkeiten halten längerfristig, regelmäßig sogar lebenslang, an. Die damit verbundenen Einschränkungen einer individuellen und selbstbestimmten Lebensführung sind gewichtig.“ (Urteil 22.11.2023, 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2579/15, 1 BvR 2578/15)

Jetzt gibt es bei allen betroffenen Akteuren noch mehr Fragezeichen.

Tanja Budke (Stimme des Kölner Arbeitskreises LRS & Dyskalkulie) fordert: „Es müssen jetzt Taten folgen! Seit Jahren erhalten wir stets die Antwort aus dem Ministerium für Schule und Bildung, dass man auf das Urteil vom Bundesverfassungsgericht wartet, bevor man den LRS-Erlass anpasst und schulrechtliche Regelungen für die Dyskalkulie schafft. Wir erwarten endlich Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für betroffene Kinder und Jugendliche. Wir befürchten, dass das Urteil für noch mehr Verwirrung sorgt und betroffene Schüler*innen noch mehr stigmatisiert werden. Selbst die ZP 10 Verfügung für 2024 (Verfügung für die zentrale Abschlussprüfung)  verstößt noch immer gegen schulrechtliche Vorgaben. Unsere Aufforderungen zur Nachbesserung werden ignoriert und nicht beantwortet.“

Dieter Budke ergänzt: „Das Urteil darf nicht dazu führen, dass betroffene Schüler aus Angst vor Stigmatisierung, durch den Vermerk im Zeugnis, auf Nachteilsausgleich und Notenschutz verzichten.“  

Der Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie fordert daher dringend:

  • Die Regelungen des LRS-Erlasses müssen dahingehend geändert werden, dass sie für alle Schulformen und Schulstufen, von der Primarstufe bis zum Berufskolleg, Gültigkeit haben.
  • Die Vorgabe des LRS-Erlasses muss in den schulrechtlichen Vorgaben verankert werden, v.a. in Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnisse und z.B. digitale Möglichkeiten. 
  • Auch für die Rechenschwäche müssen endlich schulrechtliche Vorgaben geschaffen werden.
  • Notenschutz und Nachteilsausgleich müssen für jedes betroffene Kind umgesetzt werden und in allen (Prüfungs-)Situationen gewährleistet sein.
  • Jede Schule muss Förderkonzepte für LRS und Rechenschwäche entwickeln und einen Beauftragten für LRS und Rechenschwäche benennen, die entsprechend fortgebildet werden und das Kollegium schulen können. 
  • Die ZP 10 Verfügung muss an die Ausbildungs- und Prüfungsordnung in der Sekundarstufe I angepasst werden und das bevor die Prüfungen in 2024 durchgeführt werden.

Laut dem LRS-Erlass und den weiteren schulrechtlichen Vorgaben darf die Schule kein fachärztliches Attest verlangen und die Eltern brauchen keinen Antrag zu stellen, damit der Erlass Anwendung findet. Die 5 Bezirksregierungen erlauben sich aber jeweils eine eigene Auslegung der schulrechtlichen Vorgaben. 

Bereits im Jahr 2018  hatte der Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie e.V. zusammen mit der Landeselternschaft der Gymnasium in NRW e.V. und mit seinen Netzwerkpartnern einen Erlassentwurf beim Ministerium eingereicht.  Die wichtigsten Forderungen dabei waren:

  • Die Erneuerung des LRS-Erlasses unter Berücksichtigung der Rechenschwäche, mit Verankerung im Schulgesetz, 
  • dass die Vorgaben aus dem Erlass bis einschließlich Abitur gelten, 
  • dass jede Schule einen Beauftragten für LRS und Rechenschwäche benennt und 
  • die Themen ins Lehramtsstudium aufgenommen werden.

Seitdem ist der Verein im regelmäßigen Austausch mit allen Landtagsfraktionen. Seine sehr erfolgreiche Podiumsdiskussion vom 30.11.2022 in Köln machte allen Fraktionsvertretern klar, dass endlich etwas passieren muss. Der Verein möchte erreichen, dass alle von Lese-, Rechtschreib- und Rechenschwäche betroffenen SchülerInnen Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit erfahren

Tanja Budke fordert: „Die Fraktionen und die Regierung müssen endlich handeln und Ordnung und Struktur in die schulrechtlichen Vorgaben bringen. Es kann nicht zum Nachteil der Schüler sein, dass der Erlass vom Ministerium bis zur Lehrkraft unterschiedlich ausgelegt wird. Viele betroffene Kinder werden nicht ordentlich und frühzeitig gefördert noch erhalten sie einen Nachteilsausgleich oder Notenschutz, was ihr fragiles Selbstbewusstsein nachhaltig schwächt. Obwohl die Kinder intelligent sind, werden mögliche Karrieren dadurch beeinträchtigt.“ 

Rechtsanwältin Jutta Löchner stellt fest: „Die Eltern trauen sich nicht den Rechtsweg zu beschreiten, weil es auf ihr Kind zurückfällt.“

Die Anfragen von Eltern, aber auch von Lehrkräften beim Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie e.V., nehmen weiterhin zu. Von daher fordert der Verein auch eine finanzielle Unterstützung, um hauptamtliche Stellen aufzubauen und die Rechte der Kinder zu stärken.

Anhang (Detail-Infos)

Zwei Beispiele:

Beispiel 1 Homepage Bezirksregierung Arnsberg:
Auf der Homepage der Bezirksregierung Arnsberg heißt es:

„Innerhalb der Sekundarstufe I (bis Klasse 10): Die zuständige Schulleitung gewährt auf Antrag der Sorgeberechtigten (mit aktuellen ärztlichen/fachärztlichen Nachweisen) einen Nachteilsausgleich, wenn Schüler*innen aufgrund einer Behinderung oder Beeinträchtigung (z. B. Asperger-Syndrom; Autismus; Lese- Rechtschreibschwäche (LRS); akute Erkrankung, wie Handverletzung usw.) im konkreten Einzelfall geforderte schulische Leistungen nicht begabungsgemäß erbringen können.

Bei Prüfungen:

Bei den Zentralen Prüfungen nach der Klasse 10 (ZP10) holt die Schulleitung eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde ein.“

https://www.bra.nrw.de/bildung-schule/unterricht/nachteilsausgleich

Die Bezirksregierung Arnsberg verstößt mit diesen Aussagen nicht nur gegen den sog. LRS-Erlass, sondern auch gegen die APO-SI, in der klar geregelt ist, dass die Schulleitung für die ZP10 über die Form des Nachteilsausgleiches entscheidet.

Beispiel 2 Homepage Bezirksregierung Münster:

„Bei Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) regelt der Erlass vom 19.07.1991 (BASS 14 – 01 Nr. 1) bis zum Ende der Sekundarstufe I die von der Schule zu berücksichtigenden Maßnahmen. Die Schulen sind laut Erlass verpflichtet, Schülerinnen und Schüler, bei denen eine vermutete LRS vorliegt, selbst zu begutachten, um dann entsprechende Fördermaßnahmen einzuleiten und Nachteilsausgleiche zu gewähren.“

https://www.bezreg-muenster.de/zentralablage/dokumente/schule_und_bildung/inklusion/inklusionsordner/Inklusionsordner_Kapitel-5_Nachteilsausgleich.pdf

Fragen die Lehrkräfte jedoch bei der Bezirksregierung Münster nach, heißt es, laut einem uns vorliegendem Schreiben einer Schule: „Nach Rücksprache mit dem schulfachlichen Dezernenten der Bezirksregierung Münster gibt es keinen Notenschutz mehr bei einer Lese-Rechtschreibschwäche. Daher müssen wir Ihren Antrag ablehnen.“

Betroffenen SchülerInnen steht Notenschutz und Nachteilsausgleich zu. Der Notenschutz ist nicht Teil vom Nachteilsausgleich. Dies wird hier verwechselt.

Für das Zentralabitur wird von der Bezirksregierung Münster als Nachteilsausgleich nur eine Verlängerung der Vorbereitungs-, Arbeits- und Korrekturzeit aufgeführt. Es wären jedoch auch technische Hilfsmittel, personelle Unterstützung oder ein reizfreier Arbeitsplatz möglich.

Über Ihre Berichterstattung würden wir uns sehr freuen!

 

Pressekontakt und Informationen:

Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie e.V., Tanja Budke

Tel: 0221. 56 08 18 55, www.lrs.koeln, info@lrs.koeln

Über den „Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie“:  Gegründet im Mai 2015, unterstützt der Arbeitskreis betroffene Eltern mit Informationen, damit Kinder bestmöglich gefördert werden, besonders in der Schule. Des Weiteren kooperiert der Arbeitskreis mit Schulen und Lehrkräften, die ihren Umgang mit Lese-Rechtschreib-Schwäche und Dyskalkulie (Rechenschwäche) weiter optimieren wollen. Der Arbeitskreis führt in regelmäßigen Abständen Informationsabende für Eltern, aber auch für Lehrer und Therapeut*innen durch. Zudem können sich Eltern auf Stammtisch-Abenden austauschen. Der „Kölner Arbeitskreis LRS & Dyskalkulie“ arbeitet ehrenamtlich. Er ist in keiner Weise kommerziell ausgerichtet und auch mit keiner Therapieeinrichtung verknüpft.